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Tage der Orientierung

Ich, die Anderen und was mir sonst noch wertvoll ist

„Tage der Orientierung“ als Teil der Wertebildung

Wer bin ich? Wie sehen mich die anderen? Welche Rolle spielt Gott in meinem Leben? – die Pubertät ist eine Zeit der Suche.

Die „Tage der Orientierung“ sollen den Schülerinnen und Schülern der achten Klassen helfen, sich diesen und weiteren existenziellen Fragen zu stellen. Die Jugendlichen aus den Klassen 8a, 8b und 8c arbeiten ­– jeweils drei Tage lang – in einem Wechsel von kreativer Einzelarbeit, Kleingruppengesprächen und Gemeinschaftsaktionen daran.

Umrahmt werden die Tage durch Morgen- und Abendimpulse in der Kappelle von Kirchähr.

Die Klassen werden von zwei Schulseelsorgern und einem dritten „Nicht-Seelsorge-Lehrer“ begleitet.

Impressionen von den TdOs 2019

Das Konzept der TdOs

Die „Tage der Orientierung“ (TdO) finden zumeist mit Achtklässlern statt: Zwei Schulseelsorger und ein weiterer Kollege, der nicht aus einem der beiden Religionsfachbereiche kommt, fahren jeweils zweieinhalb Tage mit einer Klasse in eine Jugendbildungsstätte des Bistums Limburg (wir haben zwar das klösterliche Gästehaus neben unserem Schulhof stehen, wollen mit dem Ortswechsel aber bewusst einen „neuen Reiz“ setzen). Ein festgelegtes Programm gibt es nicht: Wir schauen, in welche Richtung die Orientierung geht, wenn wir die Klasse kennengelernt haben (im besten Fall fahren Lehrer mit, die die Klasse nicht kennen. So wollen wir verhindern, dass man mit einem Schubladen-Denken an die Tage herangeht).

Dieses Kennenlernen erfolgt mittels „Kooperativer Spiele“. Ein Klassiker für uns ist die sogenannte „Bombenentschärfung“: Hierfür werden an einen Plastikring etwa zwei Meter lange Kordel befestigt – und zwar so viele wie es Schüler in der Klasse gibt. Ein Basketball (die „Bombe“) wird auf den Ring gelegt und die Schüler müssen den „gefährlichen Gegenstand“ transportieren, ohne dass dieser herunterfällt. Die Klassen erhalten zuvor eine Trainingszeit von einigen Minuten und sollen danach sagen, wie lange sie wohl für den Parcours (es geht über eine Fußgängerbrücke bzw. bei schlechtem Wetter eine Treppe hinunter) brauchen bzw. wie oft die „Bombe“ herunterfallen darf, ehe sie „explodiert“. Bei diesem Spiel wird schnell deutlich, wer in der Klasse das Kommando ansagt, wer sich schnell zurückzieht, wie die Schüler miteinander sprechen, wie Vorschläge von eher stillen Schülern aufgenommen werden, wie hoch oder niedrig die Frustrationstoleranz ist und ob Schüler das Spiel bewusst torpedieren (schon ein zu strammes Ziehen am eigenen Seil kann den Ball herunterfallen lassen). Es gibt kaum ein Spiel, bei dem sich die Schüler so schnell selbstoffenbaren und auch die Geschwindigkeit differiert gewaltig – zwischen 20 Minuten und großem Jubel und zweistündigen Geschrei mit Spielabbruch haben wir schon alles erlebt. Eine kurze Auswertung vor Ort sollte immer stattfinden (Warum hat das Spiel so gut funktioniert? Warum mussten wir das Spiel abbrechen? …). Sollte es die Zeit noch zulassen, folgen weitere Spiele – wichtig ist: Durch die Spiele („Spinnennetz“, „Mohrpfad“, „Chair-Sharing“, „Das laufende A“) sollen Klassenstrukturen, Rollenverteilung und Rangordnung deutlich werden.

In welche Richtung sich das Programm nun entwickelt, hängt von den Beobachtungen ab. Bei Klassen, in denen die Spiele erkennen lassen, dass die Klasse nur geringe Rollen-, Struktur- oder Kommunikationsprobleme hat, richten wir den Blick auf die Ich-Identität der Schüler (s. weiter unten „Lebenslinie“), bei Klassen, in denen Probleme deutlich wurden, werden diese in den Mittelpunkt genommen (s. weiter unten „Aufgabenfelder auf einem Schiff“).

So bietet es sich beispielsweise in einer ersten theoretischen Einheit an, die Schüler mit einer „Traumreise“ zu sich selbst zu führen (Leitfragen sind z.B.: Was ist mir im Leben wichtig? Wie verhalte ich mich Freunden oder Mitschülern, die ich nicht mag, gegenüber? Was gebe ich von mir preis – was wissen nur die besten Freunde, was weiß niemand von mir? Was ist mir Freundschaft wert?). Die Gedanken, die sich in der Traumreise formieren, übertragen die Schüler dann auf kreative Art und Weise: Sie erhalten einen unbedruckten Karton und werden aufgefordert, ins Innere der Kiste das zu übertragen, wie sie sich selbst sehen (Selbstwahrnehmung), außen sollen die Schüler darstellen, wie sie sich in der Klasse geben (Fremdwahrnehmung). Ob sie die Kiste komplett verschließen, einen kleinen Spalt offenlassen, ein Loch hineinbohren, das mit Namen versehen wird, die hineinschauen dürfen oder die Kiste offen lassen, ist ihnen überlassen. Als Material bietet sich die gesamte Bastel-Shop-Palette an: Von bunten Perlen, Federn, Acrylfarben bis hin zu Reiszwecken und Stacheldraht. Diese Einheit verläuft je nach Klasse sehr unterschiedlich. Gerade Jungen haben sich in dem Alter bezüglich ihrer Selbst- und Fremdwahrnehmung noch wenige Gedanken gemacht: Für machen ist es eine Chance und es entstehen erstaunlich kunstvolle Objekte, andere malen das Logo des Fußballvereins auf die eine Seite und stellen fest, dass sie noch fünf weitere zu gestalten haben, die dann in rasengrün dargestellt werden. Viele Mädchen verlieren sich vor allem in der Außengestaltung, wollen aber seltener, dass in ihre Kisten hineingeschaut wird. Was in dieser Einheit auffällt: Einige Schüler nutzten Negativ-Farben und Materialen wie Stacheldraht für ihre Innenansichten und wollen, dass die begleitenden Lehrer das mitbekommen („Können Sie mir mal bitte helfen, den Stacheldraht durchzuschneiden“). Diese Einheit ist für uns oft schon eine Möglichkeit für einen niederschwelligen Gesprächseinstieg, den wir oder unsere Sozialarbeiterin in unseren Sprechstunden nach Wiederkehr in die Schule nutzen können.

Nach dem Basteln stellen die Schüler ihre Kisten vor – und zwar nur das, was sie vorstellen wollen! Hier zeigt sich schnell, wer sich öffnet oder wer komplett „dicht macht“ (das haben wir gerade in diesem Jahr wieder erlebt, dass es für Schüler ein enormer Angang ist, die Außenseite vorzustellen – von der Innenseite wollen wir gar nicht reden). Wie schon bei den Spielen, so ist auch hier Augenmaß gefordert: Es geht nicht darum, von den Schülern mehr zu erfahren als sie zu sagen bereit sind. Merkt man, dass Schüler persönliche Probleme andeuten (z.B. durch die Farbsymbolik oder wenn sie ihre Kiste mehrfach mit Stacheldraht verbarrikadieren), nutzen wir das persönliche Gespräch: Die Schüler, die Redebedarf haben, deuten dies in dieser Phase oft an, ohne ein konkretes Problem zu benennen.

Auch diese Phase ermöglicht verschiedene Weiterarbeitensmöglichkeiten: Stellt man fest, dass alle Kisten verschlossen sind und innerhalb der Klasse ein tiefes Misstrauen vorhanden ist, fahren wir anders fort als in Klassen, bei denen offen vom Kisteninneren gesprochen wird.

Eine mögliche Option der Weiterarbeit ist z.B. der „heiße Stuhl“ – wenn man ehrlich ist, sind es mehrere heiße Stühle, weil die Schüler sich in einem Doppelkreis gegenübersitzen, so dass der Außenring im Laufe der Einheit rotiert. Die Frage, die sich die gegenübersitzenden Schüler gegenseitig beantworten sollen, klingt banal wie riskant: „Vor was an mir fürchtest du dich?“. Man kann sich vorstellen, dass sich einige Schüler zwei Minuten lang schweigend gegenübersitzen – für andere stellt die Möglichkeit, Sorgen oder Ängste zu formulieren, aber eine Art „Dosenöffner“ dar. Auch die Tatsache, dass die Schüler oft ähnliche Antworten hören, bringt den einen oder anderen zum Nachdenken („Du bist immer so laut und du macht immer Chaos“ versus „Du bist so verschlossen, ich weiß gar nicht, was du über mich denkst“). Diesen Schritt sollte man nur gehen, wenn man schon Erfahrung mit solch konfrontativen Methoden hat. Außerdem braucht man Geduld – oft dauert es mehrere Pärchen, bis die Schüler sich darauf einlassen, danach wollen die Klassen aber am liebsten gar nicht mehr aufhören.

Oft lassen wir dieser kritischen Einheit eine positive folgen: Die Schüler sind aufgefordert, für jeden Mitschüler – und zwar wirklich für JEDEN – auf einen Zettel, der mit dem Namen des Schülers versehen ist, etwas Positives zu schreiben. Es hat sich bewährt, dass die Eintragungen der Vorgänger nicht zu lesen sind (Blätter von unten beginnend beschriften lassen und Blatt nach der Beschriftung einknicken, so dass nur oben der Namen sichtbar bleibt). Die Schüler sind aufgefordert, nicht bloß „cool“, „nett“, „still“ aufzuschreiben, sondern in einem kurzen Satz dies auch zu begründen. Wenn jeder auf jeden Zettel etwas geschrieben hat (pro Zettel reicht eine Minute), werden die Zettel den Schülern verteilt: Tränen der Rührung und freudiges Herumlaufen sind das Ergebnis. Gerade bei Schülern, die ruhig sind und eher eine Außenseiterrolle einnehmen, wird diese Einheit in der Abschlussreflektion als besonders positiv beschrieben. In diesem Jahr brachte eine Schülerin auf den Punkt: „Ich hätte nie gedacht, dass die anderen mich überhaupt wahrnehmen – und schon gar nicht, dass es Punkte gibt, die ihnen am mir gefallen“.  

Will man nach dem Kistenbasteln nicht im Klassenverband fortfahren, teilt man die Gruppe in drei gleichgroße Gruppen – hier hat sich bewährt, dass wir die Einteilung vorzunehmen: Laute, aktive Schüler bilden eine Gruppe, eine andere setzt sich aus den leisen „grauen Mäuschen“ zusammen, eine dritte Gruppe setzt sich aus den Schülern zusammen, die üblicherweise als Mitläufer den „Alpha-Tieren“ hinterherlaufen. Man kann sich beispielsweise in lauten Klassen ausmalen, wie die ruhigen Schüler, die im Alltagschaos untergehen, aufatmen, dass ihnen auch mal zugehört wird („Zum ersten Mal konnte ich einen Vorschlag machen, der nicht direkt niedergebrüllt wird“). Auch für die lauten Schüler ist diese Einteilung manchmal erhellend: Nach anfänglichem „Sich-auf-die-Schultern-Klopfen“ tritt bei manchen die Frage zum Vorschein, warum ausgerechnet sie alle zusammen in einer Gruppe sind („Sind wir jetzt der Chaotenhaufen und warum bin ich dabei?“).

In den drei Gruppen könnte man nun mit unterschiedliche Modulbausteinen fortfahren (z.B. in der lauten Gruppe: Umgang miteinander. In der stillen Gruppe: Wie würde ich mir meine Traumklasse vorstellen?, etc.), ich möchte aber nun ein Modul vorstellen, das in allen drei Gruppen arbeitsgleich durchgeführt wird: „Lebenslinien - Eine Reflektion über das eigene Leben“. Dreizehn- oder Vierzehnjährige haben sich in den seltensten Fällen schon Gedanken darum gemacht, warum sie so sind, wie sie sind und wer oder was sie dazu gemacht hat. Auch die Frage, wer oder was ihnen wertvoll ist und was ihnen Orientierung in schweren Zeiten gibt, steht nun im Mittelpunkt. Die Schüler sollen in einem Koordinatensystem ihre „Lebenslinie“ einzeichnen: In welchen Phasen meines Lebens hatte ich ein Tief? Wann ging es mir gut? Die Linie soll durch symbolische Bilder, Wortkürzeln oder Initialen chiffriert bzw. verschönert werden.

In einer anschließenden Gesprächsphase sollen die Schüler nicht ihre „Lebenslinien“ präsentieren. Gerade Schüler, die schlimme Erlebnisse im Leben hinter sich haben oder deren Leben alles andere als geradlinig verlaufen ist, würden bloßgestellt. Stattdessen sollen die Schüler drei Begebenheiten ihres Lebens auf drei Zettel schreiben, die ihr Leben bereichert haben, die ihnen wertvoll erscheinen, bei denen sie positive Erlebnisse hatten. Positive Lebensereignisse trauen sich Schüler vorzustellen (vor allem, wenn eine Gruppeneinteilung wie oben beschrieben vorgenommen wurde). Die Zettel werden bei der Vorstellung geclustert, so dass im Laufe des Gesprächs deutlich wird, was den Schülern wertvoll ist: Familie steht immer wieder mit Abstand ganz oben – und zwar unabhängig davon, ob es Mutter-Vater-Kind-Familien sind, „Teilfamilien“ oder Patch-Work-Familien sind. Zur Familie werden wie selbstverständlich auch Haustiere hinzugezählt. Ebenfalls wird – auch das ist nicht überraschend – der Begriff der „Freundschaft“ oft genannt. Oft mit Freundschaft verbunden fallen Begriffe wie „Vertrauen“, „Freude“, „Ehrlichkeit“ oder „Glück“, die als besonders wertvoll angesehen werden. Gleichermaßen überraschend und erfreulich nennen die Schüler religiöse Begriffe bzw. Ereignisse als ihr Leben wertvoll machend: Entweder eher allgemein der Glaube, der sie trägt, konkreter aber kirchliche Gruppen (z.B. Messdiener), schulisch-religiöse Veranstaltungen (z.B. „Nightfever“) und vor allem Kommunion, Konfirmation und – je nach Alter – die Firmung. Für uns als Seelsorger an einem Gymnasium, das in Trägerschaft des Zisterzienserordens ist, ist die religiöse Werteerziehung natürlich wichtig. 

Meistens entwickeln sich in diesem Modul tolle Gespräche über Freundschaft und Familie, Werte und Schätze des Lebens, selten bleibt das Gespräch auf einer unkonkreten Oberfläche. An dieser Stelle muss entschieden werden, wie mit den negativen Erlebnissen umgegangen wird. Eine Möglichkeit ist, dass die Schüler wieder auf kleine Zettel Tiefpunkte aufschreiben, diese aber verschlossen zum Moderator geben, dieser diese mischt und einen herausgreift, über den „ganz allgemein“ gesprochen wird, ohne dass Handschrift oder Stiftfarbe offenbart werden: „Wie würdet ihr reagieren, wenn euch so etwas passiert?“,„Was für Ratschläge hättet ihr für euren besten Freund?“. Es kann sein, dass man nach zwei, drei Zetteln die Einheit beendet. Aber: Es können sich auch sehr intensive Gespräche entwickeln und oftmals „outet“ der Schreiber sich im Laufe des Gesprächs, wenn er merkt, dass Mitschüler Ähnliches erlebt haben oder wenn er erkennt, dass ernsthaft und offen miteinander gesprochen wird. Der Lehrer sollte versuchen, sich möglichst zurückzunehmen – es geht hier nicht um ein lehrergelenktes Seelenstriptease, die Schüler erkennen selbst, welche Fragen angebracht sind. Themen sind oft der Tod von Familienmitgliedern (z.B. Großeltern) und von Haustieren, aber auch familiäre Ausnahmesituationen wie Scheidungen, schwere Erkrankungen oder ein Umzug, der aus dem vertrauten Umfeld herausreißt. Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie emphatisch und hilfreich die Schüler miteinander sprechen – in der Gruppe der lauten Schüler wird es unter Umständen mucksmäuschenstill. Oft melden die Schüler zurück, dass sie zum ersten Mal in der Klasse über solche Themen offen haben sprechen können. Auch solche Schüler, die sich in dieser Art von Gesprächen aus den verschiedensten Gründen zurückziehen, merken an, wie wohltuend der faire, offene, mitfühlende Umgang gewesen sei. Auch aus dieser Einheit entwickeln sich oft in den Folgewochen Schüler-Seelsorgegespräche, weil manche Schüler Dinge ansprechen, die sie zum ersten Mal aussprechen oder die sie aufwühlen.

Im letzten Drittel der TdO nehmen wir uns oft religiöse Fragen (z.B. die Auseinandersetzung mit Gottesbildern und die Frage, wie diese im Alltag deutlich werden) vor, ich möchte hier aber ein Modul vorstellen, das wir in Klassen nutzen, in denen den Schülern nicht klar ist, welche (für sie unglückliche) Rolle sie einnehmen. In Kleingruppen erhalten die Schüler auf einem Plakat die Skizze eines Schiffdecks und auf einzelnen Zetteln vom Lehrer notierte „Berufe“ an Bord. Diese Arbeitsbereiche werden den Schülern vorgestellt und auf die Klasse übertragen: Der Kapitän ist derjenige, der in der Klasse den Kurs vorgibt und Verantwortung übernimmt; der Maschinist ist derjenige, der im Hintergrund für die Klasse arbeitet, aber ohne den es nicht vorangeht. Bei vielen weiteren Aufgaben ist der Kreativität der Spielanleiter keine Grenzen gesetzt: Der Mann vom Ausguck (in der Klasse derjenige, der aufziehende Gefahren erkennt), Animateur (Klassenclown), Landungsbrückenbauer (Kontaktperson zwischen Klasse und Lehrer), SOS-Funker (stellt in schwierigen Situationen den Kontakt zur Außenwelt her), usw.. Zwei Gegebenheiten fallen auf: Alleine, um genügend Betätigungsfelder für eine ganze Klasse benennen zu könne, wird z.B. dem Maschinist ein Stellvertreter und der 3. Maschinist zur Seite gestellt. Sollen die Schüler nun Mitschüler benennen, die diese Rolle einnehmen, wird oft überlegt, wer mit wem „kann“, wer sich auf wen verlässt oder wer auf wen hört. Zudem wird hier oft deutlich, dass Schüler aus ihrer Sicht ihre Rolle klar benennen, die Gruppenmitglieder aber deutlich widersprechen und eigentlich eine ganz andere Rolle für den Mitschüler sehen: Bestes Beispiel ist der Klassenclown, der als Animateur für gute Stimmung sorgt.

Stellen nach der Erarbeitung die drei Kleingruppen ihre Ergebnisse vor, wird es interessant: Schon beim Kapitänsposten kann es zu sehr unterschiedlichen Besetzungen kommen – wobei dieser Posten oft am unstrittigsten ist. In der Diskussion um andere Rollen beansprucht ein Schüler einen Posten lautstark, während ein anderer völlig überrascht ist, dass man ihm diesen zutraut. Vor allem bei den „Prestigeposten“ wie Steuermann, Finanzverwalter oder Chef-Segelsetzer erkennen z.B. ruhigere Schüler, welches „Standing“ sie in der Klasse haben und wie hochgeschätzt ihr zurückhaltendes, aber kluges, vorausschauendes Wesen angesehen wird. Problematisch kann es werden, wenn sich ein Schüler eigentlich als Antreiber der Klasse ansieht (z.B. als Maschinist), von der Klasse durch seine aufbrausende, unkollegiale Art aber eher als Bremser (z.B. Ankerwerfer) angesehen wird. Geht man danach zurück in die Kleingruppen, zeigen sich ganz unterschiedliche Reaktionsbilder: Von Zufriedenheit (wenn Selbst- und Fremdeinschätzung übereinstimmen) und Stolz (wenn durch die Klassengemeinschaft Aufgaben zugesprochen werden, die die Schüler selbst nicht glaubten, in der Klasse einnehmen zu können) reicht die Bandbreite bis hin zu Empörung (wenn Fremd- und Selbsteinschätzung nicht übereinstimmen und die Klasse den Schüler statt auf dem Kapitänsposten bloß zum 2. Steuermann macht) und Zurückgezogenheit (wenn man trotz allen „Strampelns“ nicht die erhoffte Rolle z.B. als Klassenclown zugesprochen bekommt).

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Nicht jede Moduleinheit gelingt, manche Probleme werden zwar angesprochen, können in zweieinhalb Tagen aber nicht gelöst werden, manche Schüler „blocken“, sobald es ihnen zu persönlich wird. Aber: Oft geben die Schüler ein überaus positives Feedback, weil z.B. Probleme in der Klasse aktiv angegangen werden, die TdO sind oft „Türöffner“ für Einzel- oder Gruppengespräche und für Klassentage, in denen an einzelnen Problemstellungen weitergearbeitet wird. Durch den flexiblen Umgang mit Programmmodulen gelingt es oft, den Schülern eine Orientierung zu ermöglichen. Und: Es wird immer wieder deutlich, dass Schülern Werte sehr wichtig sind.

 

Christian Pulfrich: Ich, die Anderen und was mir sonst noch wertvoll ist – Wertebildung bei „Tagen der Orientierung“. In: Pädagogik. Verlagsgruppe Beltz, 2017, S. 18–21.

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